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La Gomera, Epilog

Ein Hühne von Mann sitzt mit unbewegter Mine auf dem Platz im Gang. Er ist viel zu groß und zu breit für die kleinen Flugzeugsitze. In der Reihe hinter mir sitzen Milan und David.

Auch sie werden von einem Riesen eingerahmt, der, mit eben so unbewegter Miene, einen Teil von Davids Platz einnimmt. Zwischen mir und dem Großen, Breiten ist noch ein Sitz frei. Ich schicke ein
Stoßgebet in den Himmel über Teneriffa: „Bitte schick mir nicht noch einen Riesenmann!“ Es gibt in diesem Flug außergewöhnlich viele davon. Ich werde erhört: Es kommt kein Riese, sondern eine kleine, sehr runde Frau.“ Sie nimmt umständlich Platz und kuckt mich entschuldigend an: „Jetzt wirds ein bißchen eng. Ich bin dick.“ Sie zeigt mit ihrem Daumen in Richtung des Nachbarn: „Der nimmt ja schon meinen halben Platz ein.“ sie schüttelt verärgert den Kopf: „ Sitzt da, wie ́n
Pascha.“ Ihre weiche Körperfülle wallt unter der Armlehne zu mir herüber und ich werde gehörig eingequetscht. Oh je. Jetzt ganz ruhig bleiben. Ich atme tief und unterdrücke einen Anflug von echter Beklemmung. Die Frau lehnt sich jetzt noch weiter zu mir herüber: „Mir ist nicht so wohl
heute. Gestern gings mir garnicht gut.“ Ich ziehe die Luft ein: „Ach nö! Ich wills garnicht wissen.“
Doch sie plaudert munter weiter: „Durchfall und Erbrechen, den ganzen Tag! Heute morgen gings dann besser, da hatte ich nur noch Durchfall.“ „Och NÖÖÖ!“ wo ist denn hier die versteckte Kamera. Ich wende mich unmerklich etwas ab, sie fährt fort: „Also wenn ich so auf dich
rübersinke“ und sie lehnt sich wie zur Übung weit zu mir herüber und lässt ihren Kopf auf meine Schulter fallen,“dann sehe ich Sterne, weil ich ja garnichts gegessen und getrunken habe.“ Huiii:
Ich spiele die Situation in meinem Kopf durch und hoffe, dass der stumme Riese im Gang, die Dame dann ganz lässig von mir herunter heben wird, bevor auch mir die Luft wegbleibt.
Sie schnattert derweil weiter und ich rieche ihren garnicht guten Atem. Kann sie ja nichts dafür nach so einem Vorfall, aber ich bin mir nicht sicher, wieviel Mund – Nasenübertragung dabei stattfindet. „Fünf Stunden Flug“ denke ich beklommen, drehe mich zu meinem Fensterchen und schaue intensiv hinaus. Meine Nachbarin bleibt gesprächig und ist interessiert an allem, was ich tue.
Schade, dass unser polnischer Hühne im Gang kein deutsch versteht, dann könnten wir uns das Unterhaltungspensum wenigstens teilen. Man merkt der drallen Dame ihren kränklichen Zustand nicht an. Sie kommentiert eifrig jeden meiner Handgriffe und am interessantesten findet sie die Tasche mit unserer Reiseverpflegung. Da habe ich neben ein paar geschmierten Broten, alle essbaren Reste aus unserer kleinen Wohnmobilküche reingeworfen. Es gibt also Nuss- und
Chipstüten, Obst und Baguettes zu bestaunen. Meine Nachbarin kriegt sich garnicht mehr ein, über die Dinge, die ich hervorzaubere. „Ach!“ ruft sie aus „du hast ja den ganzen Supermarkt dabei!“ und dann lacht sie in meine Richtung. Schon nachdem ich mir das zweite Mal etwas aus der Tasche nehme, bermerkt sie erstaunt: „Du ißt aber viel!“ und dann lacht sie wieder. Jeder Bissen scheint sie zu bewegen. Ich traue mich schon garnicht mehr zu kauen. Als ich für mich und die Jungs unter ihrer vollen Aufmerksamkeit eine Orange schäle, drehe ich mich zu ihr und sage: „Ich fühle mich irgendwie beobachtet. „Ach, das ist rein zufällig.“ sagt sie ein wenig erstaunt und schaut mir weiter zu. Wenn sie mir nicht von ihrer Magen Darm Geschichte erzählt hätte – ich würde sogar ein wenig mit ihr plaudern. Allein schon, um das Gesprächsthema zu wechseln. Aber in diesem Fall möchte ich einfach so wenig wie möglich angeatmet werden. Ich flüchte mich, auf meinem halben Stuhl,angeschmiegt an ihr weiche Füllle, mit dem Blick aus meinem Fensterchen. Leider ist es draußen inzwischen ganz dunkel. Einmal dreht sie sich verschwörerisch zu mir und sagt: „Ich füßel die ganze Zeit mit deinem Mann.“ und dann lacht sie wieder. David, der direkt hinter ihr sitzt und anscheinend seine Füße unter ihren Sitz ausgestreckt hat, bekommt davon nichts mit. Später allerdings, als er sich am Vordersitz nach vorne zieht, um mir etwas zu sagen, lacht sie wieder: „Und jetzt streichelt er mir auch noch die Haare!“ Okay, die Gute braucht echt jemanden zum Kuscheln und da kommt mir die rettende Idee. Ich schlage ihr vor, meinen Platz mit ihrem Mann zu tauschen. Der sitzt irgendwo auf einem Platz am Gang, wo ihm, laut seiner Aussage, zuviele Kinder rumturnen. Beide sind mit meinem Vorschlag sofort einverstanden und ich räume erleichtert meinen Platz. Sofort verschmilzt das Paar glücklich miteinander und kichert unentwegt. Irgendwie süß. Als ich mit meiner Tasche davonziehe ruft sie mir hinterher: „Du willst doch nur in Ruhe weiteressen!Hahaha!“ Irgendwie ist die nicht ganz dicht, denke ich verblüfft. Mein neuer Sitz am Gang erlaubt mir lange Beine und einen ganzen Platz für mich alleine. Vor, neben und hinter mir, wieder polnische Riesenmänner, mit Frau und Kind. Sie stehen, so gut es geht im Gang und unterhalten sich angeregt, die Kinder besuchen sich untereinander. Alle scheinen sich zu kennen, es herrscht rege Lebendigkeit. Ich strecke meine Füße soweit es geht aus, genieße die Weite auf meinem Sitz und schließe genüßlich die Augen. Als wir schließlich um Mitternacht in Berlin landen, drehe ich mich nocheinmal zur meiner ehemaligen Nachbarin um und winke ihr ein auf Wiedersehen zu. Sie winkt lachend zurück und ruft laut: „Und, haste alles aufgegessen?“
Als ich, einen Tag nach unserer Ankunft diese Episode aufschreibe, liege ich mit einer Magen-Darmverstimung im Bett. David hat mir ein kuscheliges Himmelbett gebaut, draußen scheint die Sonne und es schneit. Ich bin gerade krank genug, um wirklich das Bett zu hüten, aber nicht so krank, dass ich das nicht auch ein bisschen genießen kann. Es gibt einiges zu verdauen und zu beschauen.

Jede Reise geht auch immer nach innen.

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