Ich drehe also gedanklich die ganz große Runde, als ich hier oben, auf den leeren Terrassenfeldern stehe. Was wurde in dieser rauhen, von Sonne und Wind gegerbten Landschaft denn angebaut? Ein Schild am Wegesrand klärt uns netterweise darüber auf. Diese Hochebene nannte man „pan sembrada“: „gesähtes Brot“. Als die Eroberer über die Insel herfielen, fanden sie hier eine rege Landwirtschaft vor. Man kultivierte Erbsen, Bohnen und Gerste. Während man auf den schlau bewässerten Talterrassen Obst und Gemüse anbaute, gediehen hier oben die Sorten, die viel Platz und wenig Wasser brauchten. „Pan sembrada“ — ich versuche mir vorzustellen, wie es einst hier oben zuging. Mit bestellten Feldern, wogendem Korn, schuftenden Menschen und beladenen Eseln. Ein großer Steinkreis zieht uns in seinen Bann. Von seiner Mitte aus gehen acht Speichen, symmetrisch in alle Himmelrichtungen. Das Jahresrad, das Rad des Lebens. Ein Kraftplatz. Milan setzt sich direkt in die Mitte und beginnt aus kleinen, bunten Gummis ein Band zu knüpfen. David geht im Uhrzeigersinn von Speiche zu Speiche und erzählt ihm vom Rad des Lebens. Vom geboren werden, vom Heranwachsen und Reifen …..Milan knüppert konzentriert sein Band und macht den Anschein, als würde ihn das überhaupt nicht interessieren. David geht weiter und erzählt vom Mann und Vater werden: „ Muss nicht sein, dass man Vater wird…“ wirft Milan ein und verschwindet wieder unter seinen Haaren. Stimmt. David bewegt sich über den Westen.
Er spricht davon, wie wir alt werden, wie die Kraft nach innen geht und wir uns in die Weisen verwandeln können. Schließlich, im Norden angelangt sterben wir, gehen zurück durch das selbe Tor, durch das wir gekommen sind. Milan lugt unter seinen Haaren hervor und als David ein paar Schritte über den Norden weiterläuft sagt er: „ Halt! Jetzt bist du schon wieder neugeboren.“
Das besagte Schild weist uns darauf hin, dass dies früher der Dreschplatz war, auf dem gemeinsam die Gerste gedroschen wurde. Anschließend erhielt jeder seinen Teil der Ernte. Ein Dreschplatz mit acht Speichen, auf der einen Seite das Meer, auf der Anderen der “FortalezaBerg“ die höchste Erhebung der Insel, die den Ureinwohnern als heiliger Kraftort galt. Wir sitzen mitten im Kreis, die Steine sind warm, wir teilen uns eine leuchtend, saftige Orange. Es ist ganz still und wie durch ein Wunder taucht in dieser ganzen Zeit kein Wanderer auf. Milan verlässt den Kreis mit einem großen Schmunzeln. „ Ich erweise den Generationen die Ehre!“ sagt er und dabei macht er eine tiefe Verbeugung. Wir ziehen weiter auf dem Pfad, auf dem einst Ochsen, Esel und Bauern ihre Wege zogen. Der Abstieg, der nun beginnt ist beschwerlich und nicht ungefährlich. Gut vierzig Minuten geht es in ewigen Zickzack immer steil bergab. Stein für Stein und mit viel Geschick haben einst Menschenhände den Bergen diese Wege abgerungen. Wie ungeheuer mühsam muss das gewesen sein und doch haben sie scheinbar eine Ewigkeit überdauert. Noch immer steigen hier Menschen auf und ab. Milan, der eigentlich schon kurz vor maulig war, ist seit dem Steinkreis wieder oben auf. Der Geist der Bergziegen scheint auf ihn überzuspringen. Er spurtet über die gerölligen Steine talwärts und freut sich, wenn er mich einige Etagen höher entdeckt: „Erst da?“ ruft er mir zu. „Ja, ja. Ich sehe, dass du Ersta bist“ rufe ich zurück und wir meinen wohl das Selbe. David spurtet Milan vorsichtshalber hinterher. Ich setze bedächtig meine Füße über die spitzen, runden, rollenden Steine. Vierzig steile Minuten, immer im zick zack, zick zack. Ich muss an Oma denken. Mit welcher Liebe zu den Bergen, sie bis in die Hochalpen gekraxelt ist. Oma und die Berge. Ich kann ihr nicht mehr von unserer Tour erzählen — dafür ist sie jetzt immer bei mir. Stolz stehen Milan und David am Fuß des Berges und grinsen mich an. Dieses Grinsen vergeht ihnen spätestens am nächsten Morgen, als sie die Leiter von ihrer Schlafkoje herunter krabbeln wollen. Mit einem Wadenmuskelkater, der diesem Berg würdig ist, werden wir noch ein paar Tage, an unsere beeindruckende Wanderung erinnert.
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