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La Gomera 8 Teil 1 "Volle Busse-leere Terrassen"

La Gomera 8, Teil 1 „Volle Busse und leere Terrassen“

 

Mehrmals täglich fahren Busse aus dem Tal. Sie füllen sich ratzfatz mit Wanderlustigen, Heimreisenden, die in die Hauptstadt am anderen Ende der Insel wollen, oder eben Einheimischen. Wenn alle Plätze besetzt sind, ist der Bus voll. Da gibt es keine Gnade, kein im Gang stehen — da kommt niemand mehr rein. Am Anfang der Strecke kommt das relativ häufig vor. Die Vorstellung, dass ein Anwohner unseretwegen den Bus nicht nehmen kann, ist mir mehr als unangenehm. Es soll bereits vorgekommen sein. Trotzdem und trotz der sagenhaften Fülle an deutschen Besuchern, gehen die Menschen hier freundlich mit ihren Touristen um. Sie sind zurückhaltend, doch spätestens wenn man ihnen ein „Hola, buenas dias!“ zuwirft, öffnet sich ihr Gesicht und sie grüßen allesamt ehrlich erfreut zurück.

 

Heute nehmen also auch wir den Bus, um zum Ausgangspunkt unserer Wandertour zu gelangen. Viele Kurven und 1000 Meter höher, steigen wir aus und machen uns auf den spektakulären Weg, der über ein Hochplateau zurück ins Tal führt. La Gomera ist eine Vulkaninsel, es gibt hier keine sanft ansteigend Berge und hügeligen Kuppen — alles ist steil, schroff, felsig. Die Berge fallen in tiefe Schluchten ab und so müssen wir auch nicht weit laufen, bis wir am oberen Rand eines Abgrundes stehen. Die Felsen fallen gut 1000 Meter ins Tal hinab. Es ist so steil, dass es im Bauch kitzelt, wenn man sich der Kante nur nähert. So steil, dass ich auf allen Vieren an den Rand krabbele und flach auf dem Bauch in den Abgrund schaue. Unter mir erstreckt sich eine Talebene, die direkt ins Meer übergeht. Ich fühle mich, wie in meinen schönsten Träumen, in denen ich fliegen kann — in denen ich wie ein Vogel, über tiefe Täler gleite. Wir versuchen, diese Aussicht aus verschiedenen Perspektiven zu fotografieren, aber kein Bild gibt auch nur annähernd das wieder, was wir hier zu sehen bekommen. Kein Foto transportiert das schwindelerregende Gefühl, das die Tiefe auslöst. Wir können nur Herzbilder machen.

 

Ich kann mich kaum losreißen und gleichzeitig ist es beruhigend, Milan in wachsendem Abstand von diesem Abgrund zu wissen. Einige Kurven weiter bleiben wir überrascht vor oder besser gesagt unter dem nächsten Spektakel stehen. Eine Herde süßer Zicklein, Mutterziegen und stattlicher Böcke, hält in einer steilen Felswand Mittagsruhe. Sie klettern elegant auf scheinbar nicht vorhandenen Tritten bergauf, um sich dann wieder ganz gemütlich auf einem für uns nicht sichtbaren Felsvorsprung niederzulassen. Lässig baumelt hier und da ein Bein in die Tiefe und dabei sehen sie so aus, als hätten sie den gemütlichsten Platz der Erde und ganz gewiss die beste Aussicht. Mir fällt die Geschichte vom „Ziegenthomas“ ein, die sich vor einigen Jahrzehnten, unten im Tal zutrug. In der mächtigen Steilwand direkt am Hafen, soll sich eine Ziege verstiegen und jämmerlich gemeckert haben. Jener Thomas meinte zu erkennen, dass das Tier prall gefüllte Euter habe. Er machte sich auf den Weg sie zu melken und damit ihr Leid zu mildern. Kurze Zeit später hing auch er in der Felswand fest. Unten Thomas, oben die Ziege. Jetzt meckerte er und man musste ihn mit einem Hubschrauber aus dem Berg pflücken. Von diesem Tage an, trägt er hier auf der Insel den Namen „Ziegenthomas„ Ich wusste ja, wie gerne Ziegen klettern, aber wenn ich das hier sehe, dann scheint es mir einfach absurd, diese Tiere im Flachland auf einer Wiese einzupferchen. Da sind sie einfach fehl am Platz. Kein Wunder, dass sie durch jeden Zaun gehen und überall drunter und drüber klettern. Mir fallen die Ziegenköttel ein, die ich auf dem Bauch liegend, am aller äußersten Rand des Felsens gesehen habe — dahinter ging es einfach nur steil in die Tiefe. Ich bin Fan von diesen schwindelfreien Bergakrobaten.

 

Wir wandern weiter über das Hochplateau, begleitet, von meinen Freunden, den großen schwarzen Raben. Ab und zu durchstreifen wir einen kleinen Pinienhain und wenn der Wind nicht gerade weht, ist es still, wie unter einer Glocke. Schließlich gelangen wir auf eine weite, vaste Ebene. Hier und da wachsen junge Drachenbäume. Vereinzelt stehen Steinruinen aus längst vergangenen Zeiten. Ich staune, denn offensichtlich wurde in dieser Mondlandschaft einst Landwirtschaft betrieben. Die gesamte Fläche ist terrassenförmig gestaltet. Vom steilsten Berg, bis zum leicht abschüssigen Gelände — mit meisterhaftem Geschick wurden auf der Insel vor vielen Genertionen Terrassen angelegt. Je nach Steigung bilden die Ränder stabile Mauern, die einzig aus perfekt gestapelten Steinen bestehen und bis heute erhalten sind. Wieviel Mühe und Zeit es wohl gekostet hat, dieser steilen Landschaft Flächen abzuringen, auf denen schließlich fruchtbare Gärten entstehen konnten. Und jetzt, hunderte Jahre später, sind diese handgemachten Meisterterrassen, immer noch vollständig intakt. Gebaut einzig aus dem, was die Insel hergibt. Allein, es gedeihen hier keine fruchtbaren Gärten mehr. Obst und Gemüse gibt es wie überall, im Supermarkt zu kaufen und kommt größtenteils vom Festland. Zum Beispiel vom „mar del plastico“, aus dem zauberhaften Andalusien, wo große Flächen der Landschaft unter einem “Meer aus Plaste“ verschwinden unter dem ganzjährig und im ganz großen Stil Obst und Gemüse angebaut wird. Dafür muss das romantische und sehr trockene Andalusien, sehr viel Wasser in die Anlagen pumpen und zum Glück sieht man nicht, unter welchen Bedingungen Menschen, in dieser pestizidverseuchten Plastehölle schuften. Tomate, Gurke und Erdbeere im europäischen Winter. “Buen provecho.“Alles hat seinen Preis.

 

Diese Gedankenschleife mache ich, als ich vor dieser öden Terrassenlandschaft stehe. Wir haben das mühevolle Bauernleben hinter uns gelassen und eingetauscht gegen ein, zumindest körperlich einfacheres Leben. Wir haben Freiheit dazugewonnen und Wissen verloren. Unsere Versorgung ist größtenteils in Hände abgegeben, die weder mit der Erde, noch mit ihren Bewohnern verantwortungsvoll umgehen. Es geht ums Geld und nicht darum Systeme zu schaffen, die auch Generationen später noch zum Wohle aller funktionieren. Zum Glück, gibt es überall auf der Welt Menschen, die kleine fruchtbare Inseln schaffen. Projekte, die das Wissen um Gemeinschaft und Unabhängigkeit leben, ausprobieren und bewahren, Menschen, die einfach Lust haben Gärten anzulegen und Bäume zu pflanzen. Jede einzelne dieser Inseln ist ein grüner Punkt Hoffnung, der sich mit den anderen zu einem Teppich zusammenwebt.

 

Auch hier auf Gomera, gibt es diese kleinen, grünen Punkte und es wird die Zeit kommen, in der sich die Menschen wieder auf die Schätze ihrer Insel besinnen. Die Terrassen jedenfalls sind da. Solide und geduldig warten sie, bis sie wieder zum Leben erweckt werden.

 

 

 

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