Es ist wieder passiert. Heute morgen sah ich die ersten
gelben Blätter aus unserer stattlichen Birke durch den
Wind fliegen. Abschiedsahnung. Ich trinke meinen
Morgenkaffee auf der kleinen Sonnenbank vor unserem
Garten. Mit mir sonnen sich eine Biene und eine
riesengroße grüne Heuschrecke. Sie haben wohl gestern
den Heimflug verpasst und sind jetzt erstarrt von der
Kälte der Nacht. Die Morgensonne haucht ihnen wieder
Leben ein. Die Biene beginnt mit den Beinchen zu zucken
und als mich wieder umdrehe ist sie verschwunden. Für
den großen Leib der Heuschrecke braucht die Sonne
etwas mehr Kraft. Die Ebereschen hängen satt und rot
über den Gartenzaun, der Holunder winkt mit seinen
reifen Beeren. Diese Jahreszeit versetzt mich in
Vorratslaune. Ein uralter Ruf, der für meine Urahnen
überlebenswichtig war. Ich sammle die dicken, grünen
Samen der Brennessel, die dieses Jahr so satt und
reichlich hängen. Ich trockne die nahrhafte Melde samt
i
ihrer Blätter und Knospen, bündele Beifuß und versuche
mich mit dem Trocknen des scharfen Berufskrautes als
Winterwürze. Alles ernte ich aus meinem wilden garten,
wo sich „richtiges“ Gemüse eher versteckt hält, das wächst
lieber in unserer benachbarten Gartengemeinschaft.
Ich überlege, womit ich heute beginne. Als Antwort
prasseln die reifen Traubenkirschen geräuschvoll aufs
Blechdach. Der Weißdorn trägt jetzt seine roten Beeren
und ich habe am Wegesrand die ersten Kornelkirschen
entdeckt.
Alles ruft nach mir, die wilden Pflanzen kosten kein
Geld, aber Zeit. Was für meine Vorfahren eine
Notwendigkeit war, pulsiert in mir als tiefes Bedürfniss.
Ich sammle, was mir als Geschenk gereicht wird: Die
grüne Kraft und die Aromen, die Früchte und Samen
dieses saftigen Spätsommers für den langen, blattlosen
Winter.